Best Practice · 4. Juli 2023

„Jeder hat das Recht, Leistung bringen zu dürfen“

Gut gelaunt: Tom Hoffmann, Laborant bei Bayer. Foto: Müller-Saran

Ein Unfall verändert das Leben von Tom Hoffmann radikal. Sein Arbeitgeber Bayer unterstützt ihn von Anfang an und ermöglicht ihm eine barrierefreie Rückkehr in seinen Job

 

Wenn Tom Hoffmann, 39, an seinem Arbeitstisch sitzt, Schutzbrille auf, Latexhandschuhe an, vor ihm kleine Reagenzgefäße, Pipetten, ein Mikroskop unter dem Fenster, dann ist manchmal für einen Moment lang alles wie vorher. Dann vergisst er den Unfall und den Rollstuhl, in dem er sitzt.

 

Hoffmann ist Biologie-Laborant im Forschungszentrum des global tätigen Pharma-Konzerns Bayer in Wuppertal-Aprath. Er legt Zellkulturen an, prüft verschiedene Substanzen und deren Reaktionen,

beobachtet und dokumentiert. Gemeinsam mit vielen Kollegen und Kolleginnen sucht Hoffmann nach Substanzen, aus denen nach vielen Experimenten und Prüfungen Medikamente werden könnten. 2004 hat er seine Ausbildung bei Bayer begonnen, 2007 wurde er übernommen, arbeitete einige Jahre in der Krebsforschung, dann in der Nierenforschung, wo er noch heute ist. Eine klassische Unternehmenskarriere, Hoffmann kennt nur Bayer als Arbeitgeber – und ist dem Konzern dankbar. Nicht nur, weil Bayer ihm ermöglicht, einer Arbeit nachzugehen, die ihm Spaß macht, sondern auch, weil das Unternehmen für ihn da war als sich sein Leben radikal verändert hat.

 

Bayer signalisiert, dass er sich keine Gedanken machen muss

Es ist der 30. Juni 2019, Hoffmann ist mit dem Rennrad auf dem Weg vom Schwimmen nach Hause. Hoffmann ist Ausdauersportler, hat bereits mehrere Marathons und Triathlons erfolgreich absolviert. An einem Bahnübergang bremst vor ihm ein Auto mit Anhänger überraschend stark ab, Hoffmann muss ausweichen, gerät auf die Schienen, versucht das Rennrad wieder rumzureißen, schafft es aber nicht – und stürzt. Er landet zwischen Auto und Anhänger, der Autofahrer merkt es nicht und fährt wieder an. Der Hänger rollt über Hoffmann hinweg.

 

Noch am Unfallort merkt Hoffmann, dass er seine Beine nicht bewegen kann, und denkt: Jetzt wird alles anders.

 

Er behält recht. Der Hänger ist über seinen Oberkörper gerollt, sein Rückenmark wurde eingequetscht. Sieben Monate verbringt Hoffmann im Krankenhaus. Operationen, Therapien, Langeweile. „Drei Dinge waren wichtig, um diese Zeit emotional zu überstehen“, sagt Hoffmann vier Jahre später. „Meine Partnerin ist bei mir geblieben, meine Familie hat mich sehr unterstützt und mein Arbeitgeber hat von Anfang an klar gemacht, dass ich zurückkommen kann, wenn ich bereit bin.“ Der Laborleiter und sein Abteilungsleiter kamen persönlich ins Krankenhaus, um ihm zu versichern, dass er sich um seinen Job keine Gedanken machen muss. Bayer stockte sogar eine Zeit lang das Krankengeld auf und startete nach sechs Monaten den Prozess zur betrieblichen Wiedereingliederung. 

 

Hoffmann macht die gleiche Arbeit – und doch ist vieles anders

Es dauerte letztlich anderthalb Jahre, bis er wieder einsteigen konnte. Das lag aber nicht nur an der gesundheitlichen Entwicklung von Tom Hoffmann, sondern auch an seinem Arbeitgeber. Hoffmann verrichtet zwar die gleiche Arbeit wie zuvor, doch vieles ist anders. Er sitzt nun im Rollstuhl. Bislang gab es bei Bayer in Wuppertal keine Menschen im Rollstuhl. Aber um Hoffmann den Wiedereinstieg zu ermöglichen, traf Bayer einige Vorkehrungen: Bordsteine wurden abgesenkt, Toiletten so umgebaut, dass Hoffmann ausreichend Platz hat. Und das Labor, sein Arbeitsplatz, wurde sogar verlegt, damit er es barrierefrei erreichen kann.

 

Hoffmann war der Auslöser für eine ganze Reihe an Maßnahmen, die zur Barrierearmut am Wuppertaler Standort von Bayer beigetragen haben. „Ich bin enorm dankbar, dass Bayer diese Schritte für mich unternommen hat“, sagt Hoffmann. „Dafür, dass sie mich gefragt haben, was meine Bedürfnisse sind. Sie haben mich ins Boot geholt, das war wichtig.“ Hoffmann macht häufig die Erfahrung, dass Menschen, die es einem besonders recht machen wollen, aber nicht nachfragen, übers Ziel hinausschießen. Aber er kann darüber lachen, wenn ihm jemand in die Tür greift, an der er sich gerade festhalten wollte. Oder wenn jemand seinen Rollstuhl in den Kofferraum seines Autos verladen will, obwohl er ihn auf dem Beifahrersitz braucht zum Aussteigen.

 

Viele übersehen das Potenzial, das in jedem Menschen steckt

Hoffmann, der daran glaubt und hart daran arbeitet, dass er irgendwann doch wieder laufen kann, ist psychisch sehr stabil. Er hat Verständnis für die Unsicherheit der Kollegen und Kolleginnen – und freut sich über die vielen schönen Gesten. Vor kurzem war das Bayer-Kollegium auf einem Sportevent und wurde als teilnehmerstärkstes Unternehmen ausgezeichnet. Auf die Bühne führte nur eine Treppe. Da seien die Kollegen kurzerhand zu ihm vor die Bühne gekommen, um das Foto zu machen. „Sowas rührt mich natürlich“, sagt er.

 

Dieses Gefühl der Zugehörigkeit, Chefs, die nach Bedürfnissen fragen, offene Türen und offene Ohren für Menschen mit Behinderungen ­– all das sind wichtige Aspekte der Teilhabe und der Inklusion von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz. Dass Bayer Teil des Modellprojekts Innoklusio ist, zeige, dass man weiter in die richtige Richtung steuere, sagt Hoffmann. „Ich finde, jeder hat das Recht, seine beste Leistung bringen zu dürfen. Behinderungen sind aber fast immer stigmatisierend. Man sieht einen Menschen mit Behinderung, denkt, ach je, den hat’s aber schlimm erwischt, und übersieht das Potenzial, das in jedem Menschen steckt. Deswegen: Barrieren abschaffen, physische für die Menschen mit Behinderungen, und die in den Köpfen der anderen auch.“

Ein Mann mit Labor-Kittel im Rollstuhl spricht mit einem anderen Mann in einem Labor.
Schön, gefragt zu werden: Hoffmann mit einem Kollegen. Foto: Müller-Saran