Blog · 6. Juni 2023

„Menschen mit Behinderungen sind wertvolle Talente“

Das Modellprojekt Innoklusio will Inklusionskompetenz in Unternehmen stärken, Menschen mit Behinderung fördern und einen Kulturwandel anregen. Welches Potenzial liegt in einem solchen Projekt für einen Konzern wie Beiersdorf? Im Interview sprechen Prof. Manuela Rousseau, stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und Diversity-Beauftragte des Konzerns, und Jan Nilsson, Schwerbehindertenvertreter im Betriebsrat, über steile Lernkurven, wertvolle Perspektiven und wirkungsvolle Inklusion.

Porträtfoto von Manuela Rousseau
Manuela Rousseau
Jan Nilsson
Herr Nilsson, Frau Rousseau, worin bestehen Ihre Aufgaben als Schwerbehindertenvertreter bzw. Diversity-Beauftragte bei Beiersdorf?

Jan Nilsson: Das Wichtigste in meiner Rolle als Schwerbehindertenvertreter ist es, ein offenes Ohr zu haben für alle Menschen, die zu mir kommen. Darüber hinaus unterstütze ich zum Beispiel dabei, Gleichstellungsanträge zu stellen oder Widersprüche zu verfassen. Die Kolleginnen und Kollegen haben in den allermeisten Fällen ein schweres Schicksal zu tragen und da ist es uns als Arbeitgeber ein großes Anliegen, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung so zu gestalten, dass sie der von Menschen ohne Behinderung in nichts nachsteht. Als Schwerbehindertenvertreter bin ich außerdem Teil aller Ausschüsse des Betriebsrates und stehe dort für die Rechte der Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung und Schwerbehinderung ein.

 

Manuela Rousseau: Seit 2022 ist Beiersdorf Partner von Innoklusio und ich bin für die Partnerschaft verantwortlich. Darüber hinaus bin ich seit mehr als 10 Jahren Diversity-Beauftragte im Beiersdorf Aufsichtsrat. Mein Auftrag war und ist es, die Themen Diversity und Inclusion (D&I) bei Beiersdorf global aufzusetzen. Dies umfasst unter anderem die Förderung von Frauen in Führungspositionen sowie die Stärkung der Internationalität bei Beiersdorf. Seit 2021 werden unsere Ambitionen im Bereich D&I vom Global Diversity & Inklusion Team, dem ich ebenfalls angehöre, weiter vorangetrieben. Als global agierendes Unternehmen wollen wir die Vielfältigkeit unser Verbraucherinnen und Verbraucher widerspiegeln – sowohl bei unseren Mitarbeitenden als auch mit unseren Produkten.  

Sie machen beim Projekt Innoklusio mit. Wie kam es dazu und was versprechen Sie sich davon?

Manuela Rousseau: Unser Ziel ist es, Beiersdorf zu einem Arbeitgeber zu machen, bei dem sich globale Talente entwickeln und wohl fühlen können. Innerhalb unserer strategischen D&I Säule „building the future #BeyondGender“ gehen wir daher bewusst über das Spektrum von der Gleichberechtigung der Geschlechter hinaus und explorieren weitere D&I Dimensionen. Als der Gründer und Erfinder von Dialog im Dunkeln, Andreas Heinecke, uns in einer frühen Phase des Projekts die Teilnahme am Projekt Innoklusio anbot, haben wir daher dankend angenommen. Wir wollen die Chance nutzen, zusammen mit weiteren Pilotunternehmen und Expertinnen und Experten unsere Inklusionskompetenz auszubauen, um in Zukunft auch für Menschen mit Behinderung ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.

Jeder sechste Mensch in Deutschland lebt mit einer Behinderung, jede*r mit einer Schwerbehinderung. Orientieren Sie sich bei Ihren Zielen an diesen Quoten?

Jan Nilsson: Bislang orientieren wir uns nicht an diesen konkreten Zahlen. Mein persönliches Ziel ist es aber, dass sich alle Kolleginnen und Kollegen mit einer Behinderung bei Beiersdorf wohlfühlen und die Unterstützung erlangen, die sie benötigen. Ich möchte, dass die Menschen, die in mein Büro kommen und sich beraten lassen, mit einem Lächeln im Gesicht hinausgehen, mich auf der Straße wiedererkennen und wissen, was sie an mir haben. Mein Ziel ist in erster Linie also die Fürsorge für die Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung und Schwerbehinderung.

 

Manuela Rousseau: Das sehe ich genauso. Ich möchte darüber hinaus dazu beitragen, einen Kulturwandel im Unternehmen voranzutreiben und Mitarbeitende als Multiplikatoren gewinnen. Menschen mit Behinderungen sind Talente für Unternehmen mit vielen wertvollen Perspektiven. Ich würde mir wünschen, dass Jans wertvolle Arbeit sowie unsere Teilnahme bei Innoklusio dazu beitragen, dass Mitarbeitende vorhandene Vorurteile und Berührungsängste abbauen und offen mit dem Thema Inklusion von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben umgehen.

Sind Mitarbeitende leicht zu finden, die ihre Behinderung offen zeigen?

Manuela Rousseau: Da brauchen wir nicht um den heißen Brei herumzureden – es ist nicht einfach, Mitarbeitende zu finden, die offen mit ihrer Behinderung umgehen. Es bestehen persönliche Ängste, stigmatisiert zu werden oder Nachteile zu erfahren. Basierend auf meiner langen Betriebszugehörigkeit bin ich mir jedoch ganz sicher, dass wir diese Ängste durch unsere einzigartige Wir-Kultur nehmen und jede*n Betroffene und Betroffenen auffangen können, denn wir leben schon heute eine sehr integrative Form der Zusammenarbeit. Insbesondere deswegen wünsche ich mir, dass jede und jeder in Zukunft mutig und offen mit seiner*ihrer persönlichen Situation umgehen kann.

 

Jan Nilsson: Das ist ein schwieriges Thema. Man spricht eben nicht mit Jedem über schwere körperliche oder psychische Erkrankungen. Sogar die Kolleginnen und Kollegen mit Schwerbehinderungen wissen häufig nicht voneinander. Das liegt vor allem daran, dass eine Behinderung oftmals automatisch mit Schwäche verbunden wird.

Innoklusio tritt genau gegen diese Klischees an und will letztlich einen entsprechenden Kulturwandel anregen. Wie profitiert ein Unternehmen wie Beiersdorf davon?

Manuela Rousseau: Beiersdorf möchte eine Veränderung, die sich bestenfalls in Zahlen ausdrücken lässt, also tatsächlich die Beschäftigtenzahl von Menschen mit Behinderung signifikant steigern. Dazu setzen wir eine Strategie auf und formulieren messbare Ziele.

 

Jan Nilsson: Aus meiner Perspektive ist das im Rahmen von Innoklusio bevorstehende Führungskräfteseminar ein elementarer Punkt. Denn die Führungskräfte tragen die Themen ins Unternehmen und in ihr Team. Gut finde ich auch, dass 14 Pilotfirmen mitmachen und man sich austauschen und voneinander lernen kann.

 

Manuela Rousseau: Genau, die Lernreise, insbesondere auch für Führungskräfte, ist eine elementare Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung. Wir als Unternehmen machen uns auf den Weg, befinden uns allerdings noch auf der ersten Etappe, in der wir insbesondere von anderen Pilotfirmen zunächst einmal viel lernen können. Das macht diese Idee, viele Unternehmen gemeinsam auf diese Reise zu schicken, so wertvoll: dass wir voneinander lernen und uns gemeinsam nach vorne bewegen können.

Was haben Sie aus den ersten Monaten des Projekts schon gelernt?

Manuela Rousseau: Das erste Treffen aller teilnehmenden Pilotfirmen fand im April 2022 bei Beiersdorf statt. Dieses Meeting vorzubereiten, war für mich, wie auch für das gesamte Team, eine neue Herausforderung mit vielen Fragen: Worauf müssen wir achten, wenn unterschiedliche Bedarfe und körperliche Voraussetzungen bei den Teilnehmenden bestehen? Um diese Fragen zu klären, haben wir uns von den Sozialheld*innen beraten lassen. Das Fazit nach zwei Tagen Workshop: Wir haben unheimlich viel voneinander und miteinander gelernt und das war ein grandioses Gefühl.

 

Ein weiterer großer Erfolg der ersten Monate ist der Aufbau eines internen Netzwerks, das alle relevanten Schnittstellen mit einbezieht: Schwerbehindertenvertretung, Inklusionsbeauftragte, Werkssicherheit, Betriebsärztlicher Dienst, Sozialabteilung, HR Recruitment und Führungskräfte.

Was wird bleiben, wenn das Projekt abgeschlossen ist?

Manuela Rousseau: Unsere Ambition ist es, klare Prozesse und Strukturen aufzubauen und bestehende anzupassen. Wir wollen bis Ende 2023 strategische Ziele definieren. Dadurch setzen wir formale Pfeiler, an denen wir uns messen können, die mit der Zeit aber auch weiterentwickelt werden sollen. Zudem werden wir dann zwei zertifizierte Inklusionsmanager*innen haben, die aktuell im Rahmen des Innoklusio Modellprojektes ihre Ausbildung absolvieren. Sie sollen dauerhaft Verantwortung im Unternehmen übernehmen und die relevanten Schnittstellen in die verschiedenen Funktionen bilden.

 

Jan Nilsson: Ich hoffe, dass wir sukzessive mehr Menschen mit Behinderung im Unternehmen beschäftigen. Ich persönlich halte es auch für sinnvoll, aktiv auf die Menschen zuzugehen, statt darauf zu warten, dass sich Menschen mit Behinderung bei uns bewerben. Mal etwas ganz anders machen, das wäre zumindest mein Ziel. Ich bin davon überzeugt, dass es da draußen sehr viele Talente gibt – und diese sollten wir motivieren und aktivieren!